Der Drache von Hohenwoos

In der Nähe von Hohenwoos liegt ein Hügel, Lindenhorst oder Lindhörste genannt. Dort hauste vor Zeiten ein Drache.

In den umliegenden Dörfern hatte er Freunde und war ein rechter Gabenspender. Sein unermüdliches Schaffen und Wirken mehrte bei all diesen Bauersleuten Wohlstand und Reichtum.
Er brachte seinen Leuten im Dorfe, wonach sie sich sehnten: goldgelben Weizen, Hafer für die Pferde, viel fette Milch oder gar blanke Taler. So manche Nacht erschien der Drache als feurige Kugel mit langem Schweif, fuhr durch die Feueresse ins Haus und vergaß nie auf dem Dachboden seine Gaben auszuteilen.
Aber der Drache war ein hinterhältiger Geselle; denn was er dem einen brachte, war anderwärts gestohlen. Mit einem Bauern aus Warlow hatte das Untier einen Vertrag geschlossen solcherart, er müsse alles herantragen, was der biedere Landmann von ihm verlange. Lange Zeit hielt sich der finstere Bursche daran. Als der Bauer genug des Reichtums besaß, sann er darüber nach, wie er den heimlichen Spender wieder loswerden könnte. Er nahm einen schafwollenen Strumpf, schnitt das untere Fußende ab und nagelte ihn zweifach an einen Balken auf dem Dachboden. Dann befahl er dem feurigen Gesellen, jede Nacht den Strumpf mit Geld anzufüllen. Der schleppte und schleppte die glänzenden Taler herbei. Weil aber alles durchfiel, ward der Strumpf nie voll. Bald merkte der Drache, daß der Strumpf offen war und es ihm nicht gelingen würde und daß er geprellt wurde. Da wurde ihm die Sache zu langweilig. Eines Nachts schoß er mit feurigen Augen und geiferndem Maule zum nächtlichen Himmel empor und verschwand in Richtung Lindenhorst. Das Geld der letzten Tage aber, das der Bauer in seinen Sparstrumpf gesteckt hatte, war in lauter Pferdeäpfel verwandelt worden. So rächte sich der Drache für die ihm angetane Schmach.

Doch schlimmer erging es den Dörfern Hohenwoos und Niendorf. Sie mußten dem Untier abwechselnd jedes Jahr ein junges Mädchen als Tribut zahlen. Darüber klagten die Einwohner sehr. Wenn die Zeit herankam, ging jedesmal ein Weinen und Klagen durch die Dörfer. So beratschlagten die Bauern, wie sie sich von den gefräßigen Drachen befreien könnten. Da fanden die Hohenwooser einmal einen Taternjungen, den gaben sie als Opfer an den unheimlichen Bewohner des Lindenhorstes.
Obwohl der Drache schon alt war und nicht mehr recht sehen konnte, merkte er aber beim Fressen, daß der Braten lange nicht so zart war wie ein junges Mädchen. Darüber geriet er in einen gewaltigen Zorn und ließ einen furchtbaren Sturm über das Dorf brausen.
Ungeheure Sandmassen wirbelten heran, der Himmel verfinsterte sich. Aus dem Heulen des Windes hörte man das gellende Lachen des zürnenden Tieres. Da nagelten die Bauern in ihrer Angst schnell auf den Rat eines Alten zwei Balken zu einem Kreuz zusammen und richteten es auf, worauf der Sturm nachließ und der Drache auf Nimmerwiederkehr verschwand.
Doch so retteten sie ihre Feldfluren schließlich vor der Verwüstung.

Da waren die Bewohner von Ramm ehemals schlimmer dran; denn ihr Ort ging vollständig durch Versanden unter.

Hans Ulrich Thee

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