Mit der Postkutsche von Hamburg nach Mecklenburg

Vor etwa 150 Jahren lebten wohlhabende Verwandte von uns in Hamburg. Alle zwei Jahre machten sie eine Reise nach Lübtheen und Umgegend mit der preußischen Post. Die Fahrt dauerte fast immer einen ganzen Tag. Die Reisescheine, heute würde man Fahrkarten sagen, mußten schon einige Tage vor Reisebeginn gelöst werden.

Hiernach wurden die Zahl der Passagiere und ihre Plätze im Postwagen bestimmt. Am meisten freuten sich natürlich die Kinder auf die Reise ins Land Mecklenburg. Morgens um vier Uhr stieg man vor dem Posthause beim Berliner Tor in Hamburg in eine der großen Postkutschen. Nach der Zollvisitation, die seitens der Hamburger Zöllner großzügig vorgenommen wurde, wünschte der Herr Postmeister allen Fahrgästen glückliche Reise, der Postillon schmetterte den Abschiedsgruß, und die Fahrt begann.
Die Reisenden machten sich miteinander bekannt. Die Kinder schauten aus den Fenstern und bestaunten alles, was sie erblickten. Alle etwaigen Schlag- und Zollbäume öffneten sich vor dem Posthornsignal. In Bergedorf gelangte man an dänisches Gebiet. Hier visitierten zunächst dänische Zollbeamte das mitgeführte Reisegepäck. Die dänische Postbehörde übernahm die für Bergedorf und Umgegend bestimmte Post und übergab die weiter zu befördernden Briefe und Pakete. Unterdessen hatte der Postillon den langen, roten dänischen Postfrack mit dem hellgelben Kragen und den Aufschlägen in gleicher Farbe angezogen, blies das Posthorn, knallte gehörig mit der Peitsche, und es ging gemächlich weiter bis Lauenburg. Hier erfolgte Pferdewechsel, und es gab längeren Aufenthalt. Einige Reisende stiegen hier aus, andere stellten sich zur weiteren Mitreise ein. Wenn die Postsachen umgetauscht waren und der Postknecht in mecklenburgischer Postuniform – blauer Rock mit roten Tressen und Aufschlägen – wieder auf dem Bocke saß, wollte man weiter. Im mecklenburgischen Land nutzten die verschiedenen Behörden nicht so kleinlich ihre Hoheitsrechte aus und ließen alle ziemlich unbehelligt. Nur wenn Verdacht bestand, daß unter den Reisenden irgendeine gerichtlich gesuchte Persönlichkeit war, hielten einige recht bärbeißig aussehende mecklenburgische Landhusaren Nachsuche. In Boizenburg befand sich das erste Hauptpostamt in Mecklenburg. Hier entstand durch Pferde- und Postsendungenwechsel wieder längeres Verweilen.
Die Ankunft der täglichen Post war natürlich in den von ihr berührten Ortschaften eine große Sensation. Unser mecklenburgischer Dichter Fritz Reuter schildert uns dies aus seiner Vaterstadt Stavenhagen.
„Dat was binah Middag. Üm dei Middagstied plegten dunntaumals dei Stavenhagener Börger ein beten int‘ Posthus tau gahn, denn Fru Postkummissariussen harr dat beste Bier, und dor geiw dat ok immer wat Niges tau seihn und tau hören, wenn dei Berliner Post ankäum. Von dat lütte Stüwken, in dat dei Herr Postkommissarius seiht, was noch ein lüttens Stüwken afbucht mit höltern Trallingen, wat dei Herr Postkommissarius sin Kontur namen dehr, wat äwer utseig as ein gadlich Vagelburken. Un in dit Vagelburken seit dei Herr Postkommissarius mit sinen Herrn Söhn. Hei wir ut Ostpreußen hier nach Stavenhagen herkamen und wihl keiner för hundertundtwintig Dahler dat Johr Postmeister schalen wull, dunn äuwernäum hei die Sak, un hei hat sei ok richtig dörchföhrt bet an sien selig End‘, denn hei wehr ein ollen, trugen, braven Mann, äuwer hei müßt dor ok up tau legen. Dat seig hei in, mit die hundertundtwintig Dahler Postmeistergeholt kunn hei nich utkamen. Hei läut sik also gradäwer von sien Vagelburken noch ein Vagelburken anmaken un sett’te sien leiwen Frau dorin. Dat wehr diei Kopladen un dei hett so lang’n as hei bestahn hett, einen groten un gauden Raup hett – wegen denn‘ Snuwtobakshandel. Nah un nah käum tau denn‘ Snuwtobakshandel noch ein sehr anseihnlicher Bierschenk, und as dei Großherzog em noch mit en lütte Taulag‘ ünner dei Arm griep, dunn wehr keiner glücklicher as hei.“
Hier im Posthaus gaben die biederen Stavenhagener Bürger ihre etwaigen Postsachen ab, tranken ein Bierchen und nahmen hin und wieder eine Priese, bis die Post ankam und allerlei Neuigkeiten mitbrachte. Hin und wieder brachte die Post auch Fahrgäste mit, die von den Verwandten abgeholt wurden.
Kehren wir zu unseren Reisenden zurück, die in Boizenburg wieder die Postkutsche bestiegen, um nach Lübtheen zu gelangen. Zunächst bot der Reiseweg noch allerlei Abwechslung. Es ging über verschiedene kleine Flüsse, über Hügel und durch Niederungen und kleinere Laubhölzer. Dann aber wurde die Gegend reizlos, eben und sandig, und man sah nur Kiefernkuscheln. Endlich rumpelte das schwere Gefährt zwischen Garlitzer Mühle und Quassel über die Sudenbrücke. Der Lübtheener Kirchturm grüßte von weitem. Dann steht man vor dem Posthause am Bache, wo man von den Verwandten freudig in Empfang genommen wurde.

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