Vom Kellerberg und der goldenen Wiege bei Alt Jabel

Aus den Tannen südlich von Alt Jabel, in der Nähe des Bahnhofes, ragt ein hoher, steiler und sandiger Hügel über seine Umgebung hervor. Das ist der Kellerberg. Etwas entfernt davon liegt zwischen zwei Hügeln eine tiefe Schlucht. Die heißt die goldene Wiege.

An dunklen Abenden ging man früher nicht gerne durch diesen Waldteil. Denn hier sollte es zu gewissen Stunden und Zeiten nicht geheuer sein. Heute weiß man wenig von diesen Geschichten, und nur die alten Leute im Dorfe erzählen an den langen Winterabenden noch manchmal davon, was sich hier in alten Zeiten zugetragen hat.

Vor vielen, vielen Jahren stand hier ein Nonnenkloster, das mit der Zeit über alle Maßen reich an Geld und Gut und Besitz wurde. Anfangs führten die Nonnen ein gottseliges Leben, wie es die Klosterregeln vorschrieben. Aber allmählich wurde die Zucht lockerer. Die Oberin war alt und konnte die Nonnen nicht mehr zügeln. Ihre Mahnungen und Warnungen wurden nicht beachtet.
Die Alte starb dann, und die Nonnen waren froh, daß sie sie los waren, denn nun kam eine Vorsteherin, die war jung und lebenslustig. Man hielt wohl hin und wieder noch Gottesdienste und Messen ab, aber die Hauptsache waren Feste und Gelage und Tanz. Mit der Zeit wurde dies den Klosterdamen ohne Männer aber langweilig. Und sie luden schließlich die Rentmeister, Verwalter, Vögte, Förster und Jäger von den Klostergütern dazu ein. Man feierte die ganzen Nächte hindurch, daß die Heide wackelte.
Da begab es sich, daß die Oberin ein Kind bekam, ein kleines Mädchen. Aus jedem anderen Kloster wäre sie nun mit Schimpf und Schande ausgestoßen worden. Hier aber freute man sich unbändig darüber und vergötterte das Kind geradezu. Es bekam die feinsten Kleider aus Samt und Seide und vielen Schmuck aus Silber und Gold mit kostbaren Edelsteinen. Am schönsten war aber die Wiege, in der die Kleine von den Nonnen gewartet wurde. Die war aus purem Golde. Zur Taufe stellte man ein großes Fest an und lud viele Gäste dazu ein. Es gab einen großen Schmaus, und nachher wollte der Tanz kein Ende nehmen. Als mitten in der Nacht alle in der ausgelassensten Stimmung waren, hörte man einen donnerähnlichen Knall. Die Erde bebte. Alle Lichter erloschen. Die Mauern wankten, und mit einemmal war das ganze Kloster mit allen Nonnen, Gästen und Schätzen im Erdboden versunken. An seiner Stelle stand ein hoher Berg. Nur ein Teil des tiefen Klosterkellers war noch zu sehen. Darum nannten die Leute den Hügel Kellerberg. Die goldene Wiege aber war bei dem Untergang des Klosters hoch in die Luft geschleudert und zwischen zwei nahen Hügeln heruntergefallen. Hier soll sie tief, tief drunten in der Erde liegen. Darum heißt diese Schlucht die goldene Wiege.

Oft will man früher in nächtlicher Stunde das erleuchtete Kloster gesehen und das Feiern und Jauchzen der Nonnen gehört haben. Auch nach den versunkenen Schätzen und namentlich nach der goldenen Wiege hat man gegraben. Aber man hat dabei böse Sachen erlebt und keinen Erfolg gehabt.

Einst kamen in der Nachmahdzeit zwei Jabelsche Tagelöhner müde und abgearbeitet vom Heuen aus dem „Bruch“ nach Hause. Als sie den Kellerberg im Schummern aus den Tannen hervorragen sahen, meinte der alte Jahnke zu seinem Gefährten Schult: „Wenn wir das Geld hätten, was da in der Erde liegt, brauchten wir uns nicht mehr abzurackern.“ „Wieso“, fragte Schult, „gibt es da Gold?“ „Ja“, sagte Jahnke, „ich weiß das von meinem Großvater, unter dem Kellerberg soll ein Kloster liegen, das tiefe Loch soll der Klosterkeller sein, und da hinten zwischen den beiden anderen Sandbergen in dem tiefen Grund liegt die goldene Wiege aus dem früheren Kloster. Verschiedene sollen es schon versucht haben, sie rauszugraben. Aber es ist ihnen bisher nicht gelungen, und einigen soll es schlecht dabei ergangen sein." Nun wurde Schult hellhörig und wollte mehr hören. „Ja“, erzählte Jahnke weiter, „ ganz genau weiß ich es auch nicht, wie man es angehen muß. Aber in der Johannesnacht zwischen 12 und 1 soll es möglich sein. Wenn du mehr darüber wissen willst, mußt du mal in Vielank und Trebs um Rat aus sein, da wohnen allerhand Leute, die wissen mehr darüber.“

Mittlerweile waren die beiden im Dorf angelangt. Schult ging die Geschichte mächtig im Kopf herum. Er war den ganzen Abend in Gedanken, und noch lange grübelte er im Bette darüber nach. Im Laufe des Winters war er verschiedentlich in Vielank und Trebs, hörte dieses und jenes, fragte hier und dort, und allmählich stand es bei ihm fest, in der Johannesnacht die goldene Wiege zu heben. So viel hatte er herausbekommen: bange durfte er nicht sein, und sprechen durfte er beim Heben des Schatzes auch nicht.

Die Johannesnacht kam heran. Schult hatte sich vorher schon einen Spaten, einen Wuchtbaum, eine Kette und einen großen Sack hinter dem Stall bereitgelegt. „Mutter“, meinte er nach dem Abendessen, „ich will noch mal nach Vielank rüber und sehen, ob ich noch etwas Futter im Bruch zupachten kann.“

„Gib man nicht zu viel Geld für den sauren Schnitt aus und setze dich nicht bei Steffen fest wie im vorigen Herbst“, entgegnete die Alte, „sonst kommst Du wieder mit einem gehörigen Brand nach Hause.“ Schult versprach alles und schob ab nach Vielank. Aber als er aus Sicht war, bog er in die Tannen hinein nach der „Goldenen Wiege“. Es war eine wundervolle Sommernacht. Bald ging der Mond auf. Die Uhr schlug zehn, dann elf. Bald schrie hier eine Eule im Forst, bald antwortete dort eine in heiserem Lachen. Schult war kein Bangbüx. Aber hin und wieder ging es ihm doch kalt über den Rücken. Endlich tönten zwölf Schläge vom Kirchturm her. Alles war still. Nun mußte es so rasch wie möglich vor sich gehen. Nach ein Uhr war nichts mehr zu machen. Eifrig begann Schult in den tiefen Grund zu graben. Manchmal glaubte er etwas zu hören. Dann hielt er inne und horchte. Aber nur der Nachtwind strich durch die Tannen. Da wurde Schult dreister und grub, was er konnte. Er hatte schon ein ziemliches Loch hineingewühlt, da stieß er mit der Schaufel auf etwas Hartes. Er grub nach, räumte die Erde weg, und siehe, im hellem Mondschein glänzte ihm wirklich ein Stück der goldenen Wiege entgegen. Bald hätte er vor Freude laut aufgeschrien. Doch rechtzeitig hielt er an sich. Mit neuem Eifer grub er weiter und legte wahrhaftig ein Stück von der Wiege frei. Er schob den Wuchtbaum drunter und hob die Wiege an dieser Seite empor. Um ganz sicher zu gehen, schlang er die Kette herum und befestigte sie an einer Tanne, damit der goldene Schatz nicht wieder versacken konnte. Dann grub er das andere Ende frei. Bald konnte er auch hier den Wuchtbaum ansetzen und die ganze Wiege emporheben.

Wie funkelte die goldene Pracht im Mondlichte! Schult sah sich schon als Herr über alle Reußen. Er holte den Sack heran und wollte sich einen Augenblick verpusten, denn der Schweiß tropft ihm über den ganzen Körper. Da erstarrte er. Ein Hund schnappte nach ihm, der war so groß wie ein fettes Kalb und hatte feurige Augen wie Kaffeetassen. Der feurige Geifer floß ihm aus dem Maule. Vor Schreck wollte Schult aufschreien und auskneifen. Aber er begriff sich und hielt dem Untier die Schaufel entgegen. Nun ließ der Hund von ihm ab und verschwand. Jetzt gewann Schult Mut. „Ditt hett all gaut gahn,“ dachte er und faßte nach der Kette. Da kroch ein greulicher Drache mit sieben Mäulern heran. „Hett mi die oll Köter nix dahn“, dachte Schult, „denn lop ick vor denn ‚ull’n Draken ok nich.“ Er schob die Kette bis zur Mitte der Wiege und zog sie mit aller Kraft heraus. Es glückte. Der Schatz war gehoben, und vom Drachen war nichts mehr zu sehen. Nun hielt Schult sich aber nicht mehr auf. Er zog die Wiege samt der Kette in den Sack. Da stand plötzlich der Leibhaftige selbst neben ihm, lachte so recht höhnisch und sagte: „Schult, die Weig’krigst Du doch nich!“ Im ersten Augenblick knickte Schult doch zusammen. Aber dann dachte er: „Ick bün mit denn‘ grot’n Töl und mit denn‘ mulapigen Draken farrig worden. Wenn ick nix segg, denn kann die Bös‘ sülwst mi ok nix dauhn!“ Er nahm den Sack mit dem goldenen Schatz und seine Arbeitsgeräte auf den Rücken und wollte los. Junge, Junge, war das schwer! Fast drückte ihn die Wiege zu Boden. Aber er kräpelte doch damit los. Da trat ihm Urian entgegen und sagte: „Schult, kiek, Du kannst sei nich allein drägen. Ick will mit anfaten, denn giwst mi äwer de Hälft aw!“ Dunn würd Schult so falsch, dat hei sick vergeiht, un räup: „Di sall......!“

Dor harr die Düwel ja blot up lurt. Dat geiw einen Bauz, un Schult kreig einen in denn‘ Nacken, dat hei koppheister güng un die Besinnung verleur. As hei werrer tau sick käum, wier die gold’n Weig weg. Schult seit mit’n dicken Kopp allein in die düstern Dannen. In die Fiern hör hei ein gräsiges Lachen. Dunn höll hei sick nich mehr up. Hei leut alls ligg’n un mäuk, dat hei nah Hus käum. Still kreup hei to Bett. Mudder släup all lang’n un würr nix gewohr. Annern Morgen vertell hei ehr, woans em dat gahn wiehr.us

aus: Kirche und Heimat, 04/1935

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